Berührungen der Scham – Therapeutische, philosophische und literarische Zugänge
Leitung: lic. phil. David Bürgi und PD Dr. Charles de Roche
Scham und Beschämung werden oft synonym verwendet. Man spricht zwar auch von einer Schutzfunktion der Scham, es wird allerdings selten klar, worin diese bestehen und in welchem Verhältnis diese zur Beschämung stehen soll. Zwischen Scham und Beschämung muss, so unsere These, eine strenge Unterscheidung eingeführt werden.
Der erste Teil des Seminars greift therapeutische Erfahrungen auf, die man beispielsweise bei Patienten mit sozialen Ängsten machen kann; diese Erfahrungen tauchen dann auf, wenn ein seelischer Kontakt zustande kommt. Als Therapeut wird man dabei nicht selten ergriffen von einer intensiven, manchmal schwer aushaltbaren Intimität und einer freudigen Beglückung. Diese in der Berührung auftauchenden liebevollen Affekte folgen der Scham. Von diesen Erfahrungen aus soll ein Zugang zum Verständnis der Scham gesucht werden.
Der zweite Teil des Seminars versucht Erfahrungen mit der Scham aus Nachbardisziplinen, Philosophie und Literatur, zur Sprache zu bringen. Als Grundlage dient die gemeinsame Lektüre einer Reihe kurzer Texte (von G.W.F. Hegel, W. Benjamin, F. Kafka) zum Thema. Beim Durchgang durch die – unter sich sehr unterschiedlichen – Texte fällt auf, dass sie alle die Scham nicht als reine Passivität, aber auch nicht als intentionale Aktivität, sondern als eine eigenständige Modalität zwischen beiden auffassen, die sich annäherungsweise als Ausdruckshandlung bezeichnen lässt. Vergleichbar der im ersten Teil diskutierten Differenz zwischen Scham und Beschämung, situiert sich auch hier die Scham im Spielraum zwischen dem mehr oder weniger passiven Erleiden einer Affektion und der mehr oder weniger aktiven affektiven Reaktion auf sie. Weil sie aber mit keinem dieser Extreme übereinkommt, erscheint die Scham bei näherem Hinsehen weniger als Bewirkendes oder Bewirktes denn als zugrundeliegende Bedingung des affektiven Zusammenhangs, dem sie den Namen gibt. Insofern Scham immer auf gewisse Weise zum Ausdruck kommt – nicht notwendigerweise zu einem sprachlichen; man denke an die physiologische Reaktion des Errötens –, lässt sich diese Bedingung in einem weiten Sinn als eine mediale bezeichnen. Einigen Spielarten dieser Medialität soll in der Lektüre der vorgeschlagenen Texte nachgegangen werden.
Ort: Daseinsanalytisches Seminar, Sonneggstrasse 82, 8006 Zürich.
Anmeldung: dbuergibrunner@bluewin.ch